MADALEINE VIONNET (1876-1975) und ALIX GRÈS (1903–1993) zu den ersten und bekanntesten Modeschöpferinnen, die ihre Kleider ausschließlich über die Drapage entworfen und umgesetzt haben. Fasziniert von den antiken Gewänder, Vasenmalereien und Fresken bevorzugten sie die kreative Auseinandersetzung mit der Form und Materialität in direktem Bezug zum Körper und Raum. „ I never learned sketching…I would not use this method. We should not dress with a pencil, but start using the fabric.“ sagte Vionnet (Madleine Vionnet, Betty Kirke, Seite 28). VIONNET entwickelte Kleider aus weich fließenden Seidenstoffen, die den Körper der Frau umspielten und jede Bewegung der Trägerin vollzogen. Die Kleider wirkten zart und trotz einer gewissen Körperbetonung, erlaubten sie viel Bewegungsfreiheit. Durch den DIAGONALSCHNITT (Zuschnitt im schrägen Fadenlauf) konnte Vionnet diese Wirkung noch verstärken. Sie bevorzugte unkonventionelle, raffinierte Nahtlösungen. Elemente der antiken Gewänder ließ sie wohl dosiert in ihre Arbeiten einfließen (Verknotungen, Verdrehungen, Ärmellösungen). Die Kleider lassen die Inspirationsquelle wohl erahnen, wirken im Kontext der damaligen Zeit dennoch sehr modern. Ihr größtes Bestreben war es, Kleider von einer zeitlosen Eleganz zu erschaffen. Den Trend in der Mode lehnte sie strickt ab. 1906 Inspiriert durch die Persönlichkeit und Tanzperformance von Isadora Duncan, kreierte sie für das Modehaus Doucet eine Kleiderkollektion ohne Korsett.
ALIX GRÈS, die ursprünglich Bildhauerin werden wollte, erarbeitete die Kleider wie antike Statuen. Sie hatte eine besondere Vorliebe für Falten und Raffungen. Der feine Seidenjersey wurde immer von ihr persönlich direkt am Körper der Modelle drapiert und gesteckt. In der Formensprache absolut einzigartig und sehr aufwendig, waren die Kleider wunderschöne Unikate. Keine Silhouette glich der anderen. Sie wirkten oft monumental und dramatisch. Eine Wirkung, die besonders bei bekannten Persönlichkeiten und für besondere Anlässe gefragt war. Auch sie arbeitete jenseits von Modetrends. Sie suchte Ihre Inspiration in der Kunst und in der Auseinandersetzung mit dem Stoff und dem menschlichen Körper.
Eine besondere Erwähnung verdient an der Stelle der spanische Designer CRISTÓBAL BALENCIAGA (1895-1972). Im Vergleich zu den oft weich fließenden Kleidern von Vionnet und Grès wirken seine Silhouetten raumgreifend und architektonisch. Er arbeitete gerne mit festen Materialien und entwickelte Formen die den Körper umrahmten um ihm eine neue Form zu verleihen. Graphisch und skulpturartig in der Formensprache, wirkten sie in den Proportionen und Detaillösungen perfekt ausbalanciert. Bis heute erkennen wir in den Kollektionen des Labels BALANCIAGA mit NICOLAS GHESQUIERE an der Spitze, die Handschrift des Gründers.
Vionnet, Grès sowie Balanciaga gehörten zu dem Haute Couture*(franz. „gehobene Schneiderkunst“) .Es bedeutet, dass alle ihre Kreationen Einzelanfertigungen und auf Bestellung maßgeschneidert und handangefertigt wurden. Der Preis der Kleider war sehr hoch. Exklusivität und hohe Qualität der Modelle waren selbstverständlich. Unter diesen Bedingungen genossen die Couturies die uneingeschränkte kreative Freiheit bei Entwicklung und Realisierung. Drapage war die perfekte Methode für die Suche nach neuen individuellen Silhouettenlösungen. Mitte der 80er Jahre fingen an die PRÈT-A-PORTER** Designer sich für diese Technik zu interessieren und sie für Kollektionsentwicklung zu nutzen. Angeregt wurde diese Entwicklung durch eine neue Moderichtung, den DEKONSTRUKTIVISMUS. Zu seinen einflußreichsten Vertreter gehörten die japanischen Modedesigner REI KAWAKUBO (COMME DES GARCONS) und YOHJI YAMAMOTO . In ihren Kollektionen begaben sie sich auf die Suche nach einer unkonventionellen, „sinnvollen“ Formensprache, die der Mode eine neue Bedeutung verleihen sollte. Die Mode bestand nun nicht nur aus schönen Oberfläche. Eine konzeptionelle Auseinandersetzung mit dem Inspirationsthema stand im Vordergrund. Die Mode wurden zu einer Botschaft und diente einer kritischen Auseinandersetztung mit den ästhetischen Gewohnheiten. Durch ihren kreativen Ansatz war Drapage die ideale Technik um das Thema Kleidungsform ganz neu zu erfinden. Die Silhouetten bekamen einen experimentellen Charakter. Sie wirkten unfertig, dekonstruiert, falsch zusammengesetzt, überraschten durch neue, körperferne Formen und ungewohnte Deteillösungen. Die jungen Modedesigner empfangen die neue Herausforderung mit offenen Armen. Das Publikum war irritiert. In den 90er Jahren etablierten sich in Paris drei weitere wichtige Vertreter des Dekonstruktivismus: ANN DEMEULEMEESTER, MARTIN MARGIELA und HUSSEIN CHALAYAN. ANN DEMEULEMEESTER Silhouetten sind im Prozess begriffen. Sie wirken lässig, zufällig und unfertig. Starke Kontraste in der Materialität (weich, fest) und enthüllter Körper gehören zu den weiteren wichtigen Gestaltungselementen der Designerin. MARTIN MARGIELA nimmt das Kleidungsstück auseinander und setzt es neu zusammen. Das ungewohnte Zusammensetzten der einzelnen Fragmente (falsch eingenähte Ärmel, willkürlich zusammengenähte Schnittteile, nach außen gesetzte Nähte oder Reißverschlüsse) schafft eine neue Ästhetik und ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit der Mode. Das „Innenleben der Kleidung“ wird nach außen gekehrt. Die Kleidung bekommt dadurch eine besondere Bedeutung, die über den ästhetischen Wert hinausgeht. HUSSEIN CHALAYAN ist bekannt für seine interdisziplinäre Arbeitsweise. Eine Abwandlung der Form und des Materials ist für ihn zu wenig um einen kreativen Ansatz für eine neue Kollektion zu schaffen. Seine Kleider sind oft transformierbare Objekte, die am Körper getragen werden. Er arbeitet gerne sozialkritisch. Seine Kollektionen stehen immer ganz im Dienste seiner Konzepte. Inzwischen ist Drapage kein Geheimtipp mehr. Sie ist wie das Zeichnen, ein wichtiges Instrument, das von den Modedesignern bei der Ideensuche sowie zur Umsetzung der Entwürfe eingesetzt wird. Schaut man sich die aktuellen Kollektionen aus Paris, London oder Mailand an, wird man selten eine entdecken, wo keine drapierten Elemente vorkommen. Trotz einer großen Vielfalt an Inspirationsmöglichkeiten gehören die antiken Gewänder zu den immer wieder gerne zitierten Formen. Die Kollektionen der modernen Modedesigner wie HAIDER ACKERMANN und MATTHEW AMES gehören zu den spannendsten Interpretationen dieses Themas. Sie transportieren die Idee des freien Faltenwurfs ins Moderne. Beide Designer bedienen sich der antiken Vorbilder und entwickeln, jeder auf seine Art, eine sehr individuelle, fast futuristisch anmutende Formensprache.
Der belgische Designer CHRISTIAN WIJNANTS versteht es besonders gut in seinen drapierten Silhouetten Leichtigkeit, Weiblichkeit und Modernität zu verbinden. Seine Silhouetten wirken zart und strahlen einen mädchenhaften Charme aus. Einen anderen, sehr spannenden Ansatz entdecken wir in der Arbeit des Berliner Labels C.NEEON . Die Ideen der beiden Designerinnen DOREEN SCHULZ und KLARA LESKOV sind so vielfältig, das man sie ungern in eine Schublade stecken möchte. Sie drapieren nicht nur Kleider sondern auch gerne Hoodies, Hosen und Overalls. In ihren Kollektionen spielen sie sehr gekonnt und mutig mit den Themen Form und Muster. Fantasievolle Streetwear einer anderen Art ist das Ergebnis. Unter der Leitung vom Designer RODOLFO PAGLIALUNGA präsentiert seit 2008 auch das französische Traditionslabel VIONNET ihre Kollektionen bei Pariser Modeschauen.
*Als HAUTE COUTURE (französisch für „gehobene Schneiderei“) werden die aus luxuriösen Materialien in Handarbeit individuell maßgeschneiderte Mode-Kreationen renommierter Modefirmen im obersten Preissegment bezeichnet. Als Begründer der Haute Couture gilt der Charles Frederick Worth .(wikipedia)
**PRÈT-A-PORTER ist Mode, die, wie die wörtliche Übersetzung aus dem Französischen sagt, „bereit zum Tragen“ ist. Unter dieser tragefertigen Bekleidung versteht man Kleidung, die im Gegensatz zur Haute Couture nicht individuell maßgeschneidert wird, sondern in Standardgrößen und im fertigen Zustand (konfektioniert) auf den Markt kommt. Als Begründer der Prêt-à-porter-Mode gilt Pierre Cardin. (wikipedia)